Willkommen bei Karin Streicher und Markus Schildhauer

Ein Besuch im Zentralgefängnis in Douala, oder ein Bericht über die „Vorhölle“ auf Erden.

Armand vor seinem Büro

Als wir in den neunziger Jahren mit der ganzen Familie in Yaounde, der Hauptstadt von Kamerun, lebten, arbeitete ich dort ehrenamtlich im Zentralgefängnis Ngondengui. Einmal in der Woche, mit Taschen voller Kokosnüssen, kleinen Sägen, Briefmarken, Kugelschreibern usw. passierte ich die Eingangskontrolle (nachdem ich dort gut bekannt war, ging das Gottseidank immer ohne Probleme vonstatten) und kämpfte mich dann durch das total überfüllte Gefängnis vor, bis in das Quatier der minderjährigen Jugendlichen. Ca. 80 Burschen lebten dort in einem beschützen Bereich, jeder hatte ein eigenes Bett (!!!), saubere Waschgelegenheiten und wurden beschult von Erwachsenen Gefängnisinsassen. Einmal in der Woche durfte die Hälfte von ihnen aus dem Gefängnis raus und in ein größeres Gelände gleich um die Ecke, das Foyer de l’Espérance (Heim der Hoffnung). Dort wurde gemeinsam gekocht, Fußball gespielt, Zeit den Gefängnisalltag zu vergessen, durchatmen, Perspektivenwechsel, ihre Probleme und Sorgen besprechen und vieles mehr. Ermöglicht und aufgebaut hat dies alles eine italienische Ordensgemeinschaft mit finanzieller Unterstützung von Terre des hommes der Schweiz. Die katholischen Ordensbrüder haben sich außerdem bemüht Kontakte zu den Eltern herzustellen, Anwälte zu organisieren, auch waren sie unermüdlich unterwegs um sich um Straßenkinder bzw. Jugendliche zu kümmern und vieles, vieles mehr.

Meine Unterstützung bestand darin, die Jungs zu besuchen und für etwas Abwechslung und Gespräche zu sorgen und was natürlich auch immer gebraucht wurde, ist Geld. So hatte ich die Idee, aus Kokosnüssen Knöpfe und Armreifen herstellen zu lassen. Es dauerte eine Weile bis wir rausgefunden hatten wie es am besten funktioniert, wie etwa der 1. Schritt: abschleifen der Fasern auf dem rauen Gefängnisboden. Verkauft habe ich die kleinen Kunstwerke über Mund zu Mundpropaganda, um dann damit wieder Nüsse, Medikamente z. B. gegen Malaria, Briefmarken, Anwaltskosten usw. zu bezahlen.

In Kamerun kommt man sehr schnell ins Gefängnis, aber es dauert lange bis man es wieder verlässt. Eine wichtige Ursache für die krasse Überbelegung liegt in der Justiz: Die Verfahren sind schleppend, Dossiers werden auf die lange Bank geschoben, und die Gefangenen müssen oft jahrelang auf ihren Prozess warten.

Der häufigste Grund um im Gefängnis zu landen, ist Kleinstkriminalität oder Bagatelldelikte wie stehlen von Essen zum Überleben. Landflucht in der Hoffnung sein Glück in der Stadt zu finden, Kinder oder Jugendliche die aus verschiedensten Gründen ihre Familien verlassen haben bzw. mussten und dann ohne Halt und Perspektive sich irgendwie durchs Leben schlagen. Ohne den Kontakt zur Familie ist es unvorstellbar schwierig, das Überleben im Gefängnis und eine Gerichtsverhandlung über einen Anwalt zu organisieren. Was macht man, wenn es nicht einmal für eine Briefmarke reicht, Stift und Papier fehlt, ganz abgesehen davon, wie kommt die Post überhaupt in die Dörfer ohne Postanschrift zu den Familien die meistens nichts vom Schicksal ihrer Kinder wissen können oder wissen wollen. Familienangehörige sind auch dringend notwendig um ihre Angehörigen im Gefängnis mit Essen, Medikamente, Kleidung und allem notwendigen zu versorgen, sich um Anwälte bemühen. Aber auch für sie ist es sehr schwierig, da die meisten Kameruner es gerade so schaffen, ihr Leben finanziell zu meistern.

Marodes Bett

Als wir von der Seemannsmission gebeten wurden, nach Douala zu gehen um dort das Seemannsheim bis zur Neubesetzung zu leiten, habe ich mich durchgefragt, ob es wohl auch eine Gefängnisarbeit in Douala gibt? Die katholische Kirche, mit einem kleinen Büro gleich nebenan, beschäftigt einen kamerunischen Sozialarbeiter der seit 14 Jahren fast tgl. das Gefängnis New Bell besucht und mir über den Zustand im Gefängnis die gruseligsten Geschichten berichtet. An einem Sonntag hat mich Armand eingeladen, mit ihm die regelmäßig stattfindende katholische Messe im Gefängnis zu besuchen. Nachdem ich das Zentralgefängnis in Yaounde kenne, war ich schon auf einiges gefasst, aber dieser Besuch übertraf dann doch meine ganze Vorstellungskraft. Das Gefängnis wurde von den Deutschen während der Kolonialzeit mit einer Größe für 800 Menschen erbaut und ist im Moment mit ca. 4800 Menschen belegt. Gleich am Eingang kämpft man sich durch die wartende Schlange der Angehörigen, der Ausweis und das Handy wird abgenommen, alles registriert und die Tasche kontrolliert. Der Innenhof ist überfüllt mit hauptsächlich jungen Männern, die vor sich hin vegetieren oder irgendwie die Zeit tot schlagen. Weiter geht es durch dichtes Gedränge, über übelriechende Wasserkanäle, durch schmale Gänge. Überall ist es dunkel und stickigheiß. Plastiktüten hängen, von Nägeln befestigt an den Wänden, mit Habseligkeiten gefüllt, vorbei an liegenden oder am Boden hockenden ins Leere schauenden Männern. Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt und der angereiste Chor samt Musikern motiviert alle zum Singen. Die Predigt ist lebensnah, gut zu verstehen und genügend Aufpasser sorgen dafür, dass niemand einschläft.

Nach der Messe gibt es einen Rundgang durch das Gefängnis. Wieder durch unglaubliche Enge, mir rinnt der Schweiß aus allen Poren, vorbei an der Massenküche in der meistens minderwertiger Mais und Bohnen zur Massenversorgung gekocht wird. Wer Geld hat, kann sich bei zugelassenen Ständen etwas zu Essen kaufen oder mehr Platz in den Zellen. Alles eine Frage des Geldes. Weiter geht es zum etwas geschütztem Quatier, dem sogenannten Altenheim. Der älteste „Bewohner“ ist 80 Jahre alt.

Das Quatier der Frauen ist nur mit wenigen Frauen belegt und hat daher mehr Platz. Ab und zu werden auch Kinder geboren oder Kinder leben mit ihren Müttern hier. Es gibt einen Haar- und Beautysalon und eine Nähstube, um damit Beschäftigung zu finden und ein bisschen Normalität herzustellen.

Schlafraumn für alle

Im Quatier der Minderjährigen leben 60 Jungen auf engstem Raum zusammen. Der Jüngste in der Gruppe ist gerade mal 11 Jahre alt. Es gibt einen Klassenraum, in dem in 2 Schichten Unterricht abgehalten wird. Wer sich nicht ordentlich verhält oder Ärger macht, muss das Quatier verlassen und kommt zu den Erwachsenen, man mag gar nicht weiter darüber nachdenken. In dem Gemeinschaftsschlafraum, der ab 16 Uhr geschlossen wird, stehen in 2 Reihen gegenüber a 15 Stockbetten. Ein Bett, das ist der Wohnraum der jedem Jugendlichen zur Verfügung steht. Leider werden die Betten zunehmend durch die Dauerbelastung marode und brechen zusammen, so das etliche jetzt auf dem Boden liegen müssen. Die Regenzeit macht die ganze Situation noch schlimmer. Durch die schiere Masse an Tropenregenwasser und die nicht dafür ausgelegten Wasserrinnen, kann das Wasser nicht schnell genug ablaufen und Pumpen fehlen. Das gesamte Gefängnis läuft über, was zur Folge hat, dass viele Gefangene stundenlang im Wasser sitzen oder nachts in Plastikfolien (wenn vorhanden) gewickelt sogar liegen, weil es keinen trocken Platz gibt. Die Füße und Beine quillen auf und Wunden entstehen. Regelmäßig bricht die Cholera aus und das Gefängnis wird für Besucher gesperrt.

Um die Arbeit von Armand zu unterstützen und ein bisschen die Not zu lindern, bezahle ich von den von euch gegebenen Geld, notwendige Medikamente und Verbandsmaterial, gebe ausgediente Bettlaken, Handtücher usw. aus dem Seemannsheim weiter und hoffe jetzt, noch genügend Mittel auftreiben zu können um Holz plus Zubehör für neue Stockbetten bezahlen zu können und vielleicht noch die vergammelten Matratzen zu ersetzen. Ein Weihnachtsgeschenk.

Eigentlich wollte ich nur einen kurzen Bericht schreiben, jetzt ist er doch länger geworden und es gäbe noch einiges zu berichten, z. B. was kommt danach, wenn die Jugendlichen das Gefängnis verlassen?